"Alexander von Hohentramms neuer Gedichtband kommt in schlichter Vornehmheit daher‚ leicht getönte Textseiten mit zwanzig unaufgeregten Duoton-Aufnahmen auf hellbraunem Karton schaffen die Stimmung einer mäßig beleuchteten Bibliothek.

Auch das Panoramabild des Einbandes wirkt durch das rauhe Material wie angedeutet und antiquarisch in unserer Welt der Hochglanzprospekte. Der Dichter nimmt sich zurück. Das paßt zum Titel der "Flucht".
Obgleich die Italiensehnsucht zu den Konstanten deutschen Wesens seit dem Hochmittelalter zählt‚ ist der Name des lombardischen Fürstentums und der habsburgischen Provinz nördlich der Alpen erklärungsbedürftig geworden‚ der Streifen zwischen Venezien und Istrien liegt fern von den Touristikrouten. Zwischen Adria und alpinen Gipfeln haben sich nicht nur Naturschönheiten und phantastische Schlösser und Burgen erhalten‚ auch der Menschenschlag vermengt nordische Ernsthaftigkeit und südliche Lebensfreude auf eine inzigartige Weise.
Daß der Weinkenner und -liebhaber in dieser Hügellandschaft sein Refugium findet‚ überrascht nicht‚ freilich wäre es verwunderlich‚ wenn der oft an Heine gemahnende Sarkastiker‚ dessen Leben über weite Strecken mit der Sturmglocke "Flucht" überschrieben werden darf‚ ein Ziel in Gestalt einer Idylle gefunden hätte.
Nein‚ das Refugium‚ das Loblied auf das Gewachsene und dauerhaft Gültige‚ ist immer ein Angriff‚ ein Angriff auf die Dekadenz im allgemeinen und auf den schimpflichen Zustand des deutschen Vaterlandes im besonderen. Gleich zu Beginn wird der Illusion widersprochen‚ "im Walde" sei man vor der "täglichen Kotze" gefeit. Die Handlanger des Systems kommen in die letzte Hütte‚ und das schlimmste‚ das ehrliche Eingeständnis: "man ist ja selber halb verhausschweint!"

Hohentramms Verse verschweigen den Riß‚ der durch alles antimoderne Denken und Empfinden geht‚ niemals‚ aber sie setzen das Vertrauen in göttliche Gnade gegen die Absurdität. Und sie zeigen dem Leser‚ wie man dieses Vertrauen findet. Zunächst im Überwinden von Zwängen‚ wobei am Anfang die Erkenntnis steht‚ daß es sich meist um selbstverschuldete Zwänge handelt. Dann im Willen zur Leidenschaftlichkeit. Leidenschaftlichkeit gerade nicht als Großmanns- oder Rekordsucht‚ sondern in der Hingabe an die Dinge‚die die moderne Lebensgier in ihrem Geschwindheitswahn gar nicht mehr bemerkt. Nicht zufällig steht Rilke mit Schloß Duino an markanter Stelle zwischen den Weinbergen dieses Bandes. Der Rühmer des Kleinen‚ ja der Vergöttlicher des kaum zu Bemerkenden wird dem Umtriebigen und fast schon Gehetzten ein guter Freund. Und wenn Volkston‚ Landschaft und Hochkultur einen Flügelschlag lang zusammenkommen‚ dann geschieht das Wunder‚ das diese Verse nacherlebbar macht.
Der Autor ist mit diesem Buch inniger‚ aber nicht innerlicher geworden. Er zeigt uns‚ wie uns die Sonne des Südens wirklich aufhellen und nicht nur die Haut verbrennen kann. In seine Referenz an den Kranichfelder Dichter Rudolf Baumbach‚ der in so vielen Liedern ungenannt fortlebt‚ scheint die Dichtersehnsucht auf‚ man möge sich irgendwann auch seiner wie eines Alpenkräutleins erinnern. Dies ist heute nicht mehr so harmlos wie noch in der Romantik. Denn hier beweist sich die Hoffnung‚ daß Gott dem geschundenen deutschen Volk noch einmal Frieden schenken möge. "
Wilhelm Castun

Lyrik, 87 Seiten
Autor: Alexander von Hohentramm
Titel: „Flucht ins Friaul“
Verlag zum Halben Mond
ISBN 978-9397725-01-5
Preis: 14,80 Euro

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