Wer da glaubt, der Waldprediger sei ein schrulliger Kauz, der, zwischen staubigen Scharteken vergraben, weltfern vor sich hin spintisiere, geht ganz fehl.  Der Waldprediger ist trotz seinem hohen Alter, das bereits biblische Dimensionen erreicht hat, ein weltoffener Mensch. Vor wenigen Tagen erst hat er sich ins ferne Südtirol begeben.

Nicht auf Schusters Rappen, sondern mit der Stärke von dreihundert Pferden unter der Haube des Reisegefährts, das ihm von einer großzügigen Dame geliehen ward, auf daß er schnell und bequem in schöne Gegenden käme, wo ihm kristallklare Gletscherbrisen Gemüt wie Gehirn durchlüften.
Welch Gefühl durchwallte ihn, der schon an Belt und Memel geweilt, als er nun in Meran am Ufer der Etsch stand und in das Tosen der von Gewittergüssen gewaltig angeschwollenen grünen Fluten schaute. Es tat seiner nationalen Ergriffenheit nur wenig Abbruch, als ihm ein älterer Meraner trocken erklärte, daß er in die Passer blicke, die sich erst einige hundert Meter weiter mit der aus dem Schnalstal kommenden Etsch vereinige. Es war trotzdem ergreifend.


Äußerst angetan war der Waldprediger auch von den erfrischenden Bieren der Brauerei Forst, deren verschiedene Sorten er allesamt im Biergarten ihres Stammhauses in Algund die Getränkekarte rauf und runter probierte. Solcherart von aller deutschen Verklemmtheit befreit, knüpfte er, bei weiteren Bieren, ein Gespräch mit den Musikanten an, die nach etlichen Runden lustiger Blasmusik und Jodlern rein zufällig an seinem Tisch ihre trockenen Kehlen anfeuchteten, natürlich auch mit Bier und nicht aus kleinen Gläsern.

Der Waldprediger wollte von den frischen Burschen in ihren feschen Trachtenhosen und -hemden wissen ob sie nun Italiener seien oder doch mehr Österreicher oder ob sie sich gar als Deutsche fühlten, und wie mit einer Stimmer erscholl ihm entgegen: „Mir san‘s Tiroler Buam!“  Woraufhin man gemeinsam noch ein Bier trank, jeder eins natürlich.

Die Wanderung zum Vigiljoch begann ein klein wenig später als geplant, ließ aber auch das letzte Tröpfchen Alkohol schnell aus den Poren dampfen, und schon bald fand sich der Waldprediger mutterseelenallein zwischen rauschenden Föhren und duftenden Zirben, da er am Kirchlein St. Vigil die ausgetretenen Rundwege verlassen und sich kühn und quer in die Wildnis begeben hatte.
Ach, wie froh war er, als er nach stundenlangem Herumirren, kurz vor dem Hunger- und Dursttod endlich wieder eine menschliche Gestalt erblickte. Sie saß auf einer aus derben Planken zusammengeschlagenen Rastbank von der aus sich eine weite Aussicht auf den tausend Meter tiefer gelegenen Meraner Talkessel wie in einem Panoramakino eröffnete. Doch was tat die Gestalt auf der Bank?  Sie las, der Waldprediger schwört es bei seiner seligen Großmutter, sie las die „Bildzeitung“!

 

Kommentare powered by CComment